MännerStunde

man holds hours„Na, wie sieht ihre MännerStunde aus?“ Das frage ich gerne Männer in der Beratung. Was macht der einzelne am Tage mal nur für sich? Ich nenne das einfach gerne die MännerStunde. Der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt. Nicht wenige Männer kennen das schon und machen auch etwas für sich. Der eine nutzt seine Pendlerzeit im Auto oder Zug. Der andere sitzt gerne nach der Arbeit eine Stunde auf Klo und liest. Der nächste duscht auch schon mal über 30 Minuten. Und wieder der nächste läuft sich täglich für eine Stunde frei. Und mancher hält auf dem Weg von der Arbeit beim Bäcker an und trinkt erst einmal in Ruhe einen Kaffee. Das sind alles gute kleine Entspannungsinseln, die Männern wieder Kraft geben können. Mal nicht reden, nicht nachdenken oder in Anspruch genommen werden.
Das erste Mal als ich die Frage nach der Männerstunde stellte, war ich in der Beratung eines Mannes mit Migrationshintergrund. Er trat mir in der betriebsärztlichen Praxis in einem Vorsorgegespräch gegenüber und ich sah dort einen Mann Mitte vierzig, der sich die letzten Jahre hatte gehen lassen. Alles war aus den Fugen geraten, das Aussehen, die Zähne, das Gewicht und ganz wichtig der Gesichtsausdruck. Was mich allerdings wunderte war sein wirklich perfektes Deutsch ohne jeglichen Akzent. Ich fragte gleich nach, ob er hier geboren sei und bekam die erstaunliche Antwort: „Nein, ich bin von Beruf Deutschlehrer.“ In der Akte war er als einfacher Mitarbeiter eines Betriebes gelistet, die im Warenumschlag tätig waren. Dort fuhr er den ganzen Tag Gabelstapler.
Aber wie kam es dazu? Wir stiegen ins Gespräch ein und er erzählte mir seine Lebensgeschichte in kurzen Stücken. (Wie immer sei hier der Hinweis erbracht, dass dieses Gespräch stattgefunden hat. Natürlich habe ich wieder wesentliche Erkennungsmerkmale anonymisiert.) In seinem Heimatland war als Deutschlehrer angestellt und ein aktiver Mann gewesen. Seine Frau lernte er über einen Urlaub kennen und man entschied sich, in seinem Heimatland gemeinsam zu leben. Es kamen zwei Kinder zur Welt und seiner Frau ging es zusehends immer schlechter im fremden Land. Sie fühlte sich nicht heimisch und wurde depressiv. Ihr zuliebe zog die ganze Familie deshalb nach Deutschland. Hier angekommen, wurde wie so häufig üblich seine akademische Ausbildung nicht anerkannt. Nur durch ein mehrjähriges Aufbaustudium hätte er wieder als Lehrer arbeiten können. Da er eine Familie zu ernähren hatte, ging er arbeiten. Als ungelernter Mitte 30jähriger Mann bekam er „nur“ diesen Job als Staplerfahrer. Ihm machte diese Arbeit nach eigenen Aussagen aber eigentlich Freude. Er hatte auch schon während seines Studiums viel in einem Lagerhaus gearbeitet. Aber irgendwie wirkte dieser Mann auf mich tot unglücklich.
Ich hakte nach, um seine „gesundheitliche“ Vergangenheit besser zu verstehen. Warum war er so geworden? Ganz konkret fragte ich: „Mensch, was ist mit ihnen passiert? Warum haben sie sich so gehen lassen?“ Wir kamen dabei dann relativ rasch auf das Thema Heimat, besser gesagt seine Heimat.
Er sagte zu mir: „Wenn sie nach Hause kommen, machen sie die Tür zu ihrem Haus auf, die Kinder laufen ihnen entgegen und sie sind in ihrer Heimat angekommen. Wenn ich nach Hause komme, mache ich die Tür auf, meine Jungs laufen mir entgegen und ich bin in einem Haus angekommen. Erst wenn ich meine Augen schließe, kann ich in meiner Heimat ankommen. Meine Heimat ist weit weg und ich bin hier ein Fremder.“
Diese Worte beeindruckten mich und ich fragte weiter nach: „Was macht ihre Heimat aus? Was haben sie gerne in ihrer Heimat getan?“ Er erzählte von einem aktiven Leben in den Bergen mit viel Wandern und das er immer schon eine Wasserratte gewesen sei. Weiter schwärmte er von köstlichem Honig, den ich mir bei seiner blumigen Beschreibung wirklich so vorstellen und schmecken konnte. Er blühte während dieser Erzählung geradezu auf. Nachdem er mir das beschriebe hatte, rutschte mir nur die Frage raus „Zurück können sie nicht mehr, oder?“ – „Nein, zurück kann ich nicht mehr. Meine Frau wäre wieder tot unglücklich.“ – „Was könnten sie denn mal hier für sich tun? Was wäre ihre ganz persönliche MännerStunde? Am Tage oder vielleicht auch in der Woche?“ – „Ach, ich würde gerne wieder schwimmen gehen. Dann nehme ich meine Jungs mit und dann machen wir etwas zusammen.“ Ich sistierte sofort: „Nein, nein. Das wäre baden oder plantschen. Und das wäre auch nichts für sie persönlich. „Sie“ wollen doch schwimmen gehen.“ – „Ja, stimmt.“ Ob ihm das jetzt weitergeholfen hat, weiß ich nicht. Er wirkte jedoch danach sehr andächtig und sich seiner Situation „des sich zunehmend verlierenden Mannes“ äußerst bewusst. Er hatte ja auch nicht die große Wahl. Sich wieder mehr zu sehen und zu „pflegen“ erscheint mir jedoch ein guter Ansatz, diesem Mann im Ansatz zu helfen.
Fragen Sie mal ihre Patienten, Klienten oder zu Beratenden nach deren MännerStunde. Ich mache dies seitdem und erhalte immer wieder spannende und kreative Antworten. Wir sollten die Männer mehr darin bestärken ihre Männerstunde zu pflegen. Das kann die ganz individuelle Gesundheitsförderung sein. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen wie immer eine gesundheitliche Woche und wenn Sie mögen, schreiben sie gerne Ideen für eine MännerStunde ins Kommentarfeld.

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