Im Auto mit Wladimir Kaminer

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In der „Männergesundheitsarbeit“ trifft man auch auf Spätaussiedler aus Russland. Ich wollte gerne mehr über diese Männer erfahren. Wen könnte man dazu am besten befragen? Mir viel als erstes Wladimir Kaminer ein. Und ich kann nun von zwei Geschichten berichten, eigentlich von der Geschichte zu der Geschichte. Also ich rief meinen besten Freund Wladi aus Berlin an. Nein nicht Wladimr Kaminer, sondern meinen Wladi, der seit seinem 14. Lebensjahr hier lebt und ein alter Freund aus Schulzeiten ist. Der hatte die Handynummer von dem anderen Wladimir und so rief ich einfach mal durch.
Wladimir Kaminer hatte gleich Interesse an einem Interview und so kamen wir zueinander. Wie der Zufall es so wollte, führten wir mal ein etwas anderes Gespräch, ein Taxigespräch. Ich fuhr den Wagen und Wladimir Kaminer war der Beifahrer, auf dem Weg von Bremen nach Bremerhaven, abends um halb sieben an einem Dienstag. So nun aber genug zum Setting. Männergesundheit ist natürlich nicht Wladimir Kaminers Schwerpunktthema. Da er aber als Kolumnist vieles im Leben beobachtet und darüber schreibt, äußerte er sich über den deutschen Mann, den russlanddeutschen Mann und sich selbst.
Gleich zu Beginn berichtete er von einem weisen Onkel seiner Frau aus einem nordkaukasischen Dorf. Wladimir Kaminer wunderte sich darüber, das es dort nur junge und sehr alte Männer (übersetzt „die Hundertjährigen“) gäbe. Diese würden so genannt, weil niemand mehr wüsste, wie alt sie eigentlich schon wären. Männer im mittleren Alter, so um die fünfzig wären sehr selten anzutreffen. Der nordkaukasische Onkel gab auch seine Begründung für diesen Zustand ab. Es gäbe 3 wichtige Lebensbarrieren eines Mannes. Bei der ersten gelte es die Kindheit mit all ihren Unfallrisiken zu überleben.
Die zweite läge im Alter zwischen 30 und 35 und nach Wladimir Kaminer wäre dies die „Angeberphase“. Hier würden die Männer häufig angeben müssen: Meine Frau, meine Kinder, mein Haus, mein Job, mein Auto usw. Dieses Angebertum würde nicht wenige überfordern und wäre somit auch lebensbedrohlich.
Die letzte wichtige Barriere läge im Alter um das 50. Lebensjahr. Hier würden nur die überleben, die es verstünden, dass sie nicht mehr 30 Jahre alt wären und sich dem Alter entsprechend anpassen und verhalten könnten. Vielleicht ist dies eine sehr verallgemeinernde Beschreibung, ich finde aber sie passt. Ich sehe tagtäglich Männer die 50 Jahre alt sind und sich wie 25 fühlen und auch so verhalten, obwohl ihr Körper das nicht mehr so recht mitmacht.
Wladimir Kaminer und ich sprachen weiter über den Onkel, der nun alt geworden war. Dieser hatte sein Leben radikal verändert, nachdem er bei Renovierungsarbeiten aus drei Meter Höhe in ein trocken gelegtes Schwimmbad gefallen war. Dabei hatte er sich nichts getan aber doch festgestellt, dass er ziemlich Glück gehabt hätte. Seit diesem Ereignis tritt dieser Mann deutlich ruhiger auf. Das besondere Lebensereignis, welches etwas in einem verändert, ist auch nicht selten bei Männern gesehen.
Auf meine Frage, was den russlanddeutschen Mann gesundheitlich geprägt hätte, antwortete Wladimir Kaminer eher ummedizinisch. Er geht davon aus, dass das totalitäre System der ehemaligen Sowjetunion die Menschen und vor allem auch arbeitenden Männer drangsaliert hätte. Diese hätten gar keinen Sinn darin gesehen, länger leben und vor allem als Rentner leben zu wollen. Diese Einstellung würde sich massiv von deutschen Männern unterscheiden. Deutsche Männer würden arbeiten gehen, um „fertig“ zu werden. Sie würden sich eine schöne Zeit in der Rente erträumen/ersehnen. Russische Männer dagegen würden eher im Jetzt leben und arbeiten wollen, weil es fürs danach keinen wesentlichen Grund mehr gäbe. Eine gewisse Vorsorgementalität gäbe es bis heute kaum in Russland. Zumal das medizinische System zu den alten Zeiten auch den „verhassten“ Staat repräsentierte. Auch das muss heute noch die Männer weiter prägen.
In meinem Erleben von russlanddeutschen Männern gibt es häufig zwei Charaktere. Der eine, den Wladimir Kaminer als „Streber“ bezeichnet, der sich hier aufopfert und „zu Tode“ arbeitet. Der andere, der gebrochen ist, weil er sich nicht im neuen System zurechtfinden kann und will. Dieser fühlt sich krank und ist ähnlich schwer zu erreichen wie der erstere. Viele Krankheitsaspekte werden lange hinter dem Berg gehalten und eher in der Familie geklärt. Krankheiten kommen und gehen. Meist gehen sie auch wieder von selbst weg.
Auch unter Russen gibt es den Gesundheitsfaktor Frau, welcher wohl noch stärker ausgeprägt ist, als bei den Deutschen. Die russische Frau würde jedoch anders als die deutsche Frau agieren. Sie würde nicht unbedingt ihren Mann zum Arzt schicken, sondern ihn nach Rücksprache mit dem Internet und im Kontakt mit anderen russischen Frauen gleich selber behandeln. Auch das muss noch aus der Prägung von früher stammen.
Abschließend sprachen wir über den Sinn und Unsinn von Männergesundheitsförderung. Wladimir Kaminer fragte mich: „Was haben die Männer denn vom Leben ohne Bauch oder Zigarette? Für wenn sollen sie das machen? Für was soll das gut sein?“ Auch wenn dies provokative Fragen sind, finde ich, das sie eine gewisse Berechtigung haben. Wenn das nicht im Vorfeld geklärt ist, wird sich nichts bei den Männern ändern. Auch nach Wladimir Kaminer muss die Verdeutlichung einer verbesserten Lebensqualität im späteren Leben ein wichtiger Bestandteil der Präventionskommunikation sein. In diesem Sinne Ihnen eine gesundheitliche Woche.

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