Bringt uns die Sicherheitspsychologie beim Verstehen der Männergesundheit weiter?

In Rheinberg bei Duisburg wohnt Prof. Musahl. Er ist Arbeitspsychologe, war an der Uni Duisburg-Essen und ist mittlerweile emeritiert. Vor kurzem hatte er Zeit für ein Interview. Der Grund meines Besuches lag eigentlich im Thema: Der Mann und seine Unfälle – Was Achtsamkeit mit Unfallgefahr zu tun hat. Herr Musahl ist Wissenschaftler der darauf bedacht ist, Dinge vollständig erklären zu können und nicht in irgendwelcher „Rumdeutelei“ aufgeht. Gott sei Dank kann er auch Klartext reden und hat mir in 4 Stunden Gespräch etwas beigebracht. Davon möchte ich nun kurz berichten. Herr Musahl fing gleich zu Anfang an, meine Überschrift fürs Interview zu zerreißen. Er sagte: „Achtsamkeit“ ist eher eine lauwarme Übersetzung von „Pass besser auf, Du Blödmann! Damit haben Unfälle nichts zu tun! Das sind eher Ausreden von Ingenieuren.“ Musahl hat sein Leben wissenschaftlich am Thema „Warum passieren Arbeitsunfälle?“ gearbeitet. Retrospektiv hat er sich eigentlich fast unbewusst nur mit Männern beschäftigt. Die ersten Arbeiten dazu fanden untertage statt. Frage war: Gibt es eine vernünftige Erklärung dafür, dass Menschen objektiv „Gefährliches“ tun, obwohl sie die einzelnen Tätigkeiten doch so gut kennen – das tatsächliche Unfallgeschehen dabei aber offenbar gar nicht registrieren. Und warum gilt das auch für Vorgesetzte, die das Unfallgeschehen in den „Unterweisungen“ doch mit den Mitarbeitern „besprechen“ sollen?! Herr Musahl sagte weiter: „Nur wenn es gelingt, dies „vernünftig“ zu erklären, so, dass das Unfallopfer seine Würde behält, können wir das auch korrigieren. Das Unfallopfer ist also kein potentieller Idiot oder Selbstmörder, sondern er handelt in der (objektiv falschen) Überzeugung, dass er „das schon schaffen wird“. Wie kommt er darauf? Herr Musahl brachte das Beispiel des Stempel setzen und des Stempel rauben. Dies sind klassische Tätigkeiten eines Bergarbeiters im Steinkohlebergbau. Nur kurz, es geht dabei um das Abstützen des Ganges des sog. Strebs. Bei dem einen wird der Streb gesichert, beim Weiterziehen muss man diese Sicherung (Stempel) wieder „rauben“. Wobei passieren nun die meisten Unfälle? Ich als Laie sagte natürlich sofort „Beim Rauben“. Das war auch die überwiegende Meinung der Bergleute. Aber falsch gedacht. Die meisten Unfälle traten beim „Setzen“ auf. Warum? Die Tätigkeit des „Raubens“ war für alle bewusst gefährlich. Die Achtsamkeit, also nach Herrn Musahl besser die Aufmerksamkeit war massiv „hochgefahren“. Beim Setzen galt dies nicht, die Leute waren unaufmerksam und es kam häufiger zu Unfällen. Die meisten Unfälle heute passieren nicht bei gefährlichen Tätigkeiten sondern beim Gehen. Ja das Gehen ist gefährlich! Weil es so banal ist. Warum erzähle ich das in solch einer Breite? Ich kam auf Herrn Musahl, weil viele Männer des Bremer Stahlwerkes gerne von ihm erzählen. Dort wurden vor Jahren Schulungen zur Sicherheitspsychologie durchgeführt. Diese waren nicht unfruchtbar. Bremen hat anhaltend sehr niedrige Unfallzahlen. Was hat das nun mit Männergesundheit zu tun? Dazu komme ich gleich. Wir sprachen im Interview lange über die negative Verstärkung (ein Psychologiemodell von Holland und Skinner). Dabei geht es darum, dass wir Dinge tun können aus zweierlei Antrieb. 1. Man tut etwas häufiger, weil man etwas dafür bekommt. Es wird also positiv verstärkt. 2. Man tut etwas häufiger, weil die erwartete Konsequenz ausbleibt, nichts passiert. Es wird negativ verstärkt, was aber nicht bedeutet, dass wir als Homo sapiens das als negativ empfinden. Das scheint erst einmal ziemlich unsinnig. Herr Musahl macht es so deutlich: „p“ heisst: „passiert“ und „n“ heißt „nix passiert“ — und beides ist schön! Daher Verstärkung. Denn Unfälle sind seltene Ereignisse, genau wie Lottogewinne – Also: Meistens passiert nix. Man weiß aber mittlerweile heute, dass die negative Verstärkung ein größerer Antrieb unseres Handelns ist als die positive. Könnte das nun auch für das männliche Gesundheitsverhalten zutreffen? These: Männer leben aus unterschiedlichsten Gründen risikobereiter als Frauen und ändern dies nicht, weil es negativ verstärkt wird. Lassen wir das mal so stehen. Könnte man dies nun evtl. im Rahmen der Männergesundheitdebatte und dem Verständlichmachen gegenüber Männern nutzen? Herr Musahl hat dies den Bremer Mitarbeitern in Bezug auf nicht sicherheitsgerechtes Verhalten im Alltag erklärt. Er tat dies äußerst wertschätzend und plausibel/logisch. Diese logische Herangehensweise hat den Männern gefallen. Wenn wir uns nun das Risikoverhalten von Männern anschauen, die wissen, dass Rauchen nicht gesund ist oder zu schnelles Autofahren tödlich sein könnte, wie wäre es da, diese Sicherheitsschulungen auf Gesundheitsthemen zu übertragen? Sozusagen, nicht wie ich das sonst so sage bei der Gesundheitskommunikation „Du und Deine Technik“ sondern diesmal „Du und Deine Sicherheit“. Wie ticken wir Männer bei unseren eigenen Sicherheitsfragen? Diskutieren Sie hierzu gerne mit. Ihre Meinung interessiert mich diesmal wirklich sehr!

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