Vom Cowboyfilm zu Counterstrike. Gewalt in den Medien als Erklärung für Gewalttaten junger Männer
Gewalttätigkeit unter jungen Männern ist ein Problem, mit dem sich wohl alle Gesellschaften zu allen Zeiten herumgeschlagen haben. Wo immer es knallte, revoltierte, plünderte oder brandschatzte – fast immer waren junge erwachsene Männer am Werk. Seien es die Kreuzzüge im Mittelalter oder der Straßenterror der SA, es gibt kaum eine alptraumhafte Episode in der Geschichte, die nicht von (post)-adoleszenten Männer ausging. In unserer derzeitigen Zivilgesellschaft nimmt sich das Problempotential junger Männer vergleichsweise harmlos aus. Mord und Totschlag verbreiten die „enfants terribles“ des digitalisierten Konsumzeitalters nur selten. Umso betroffener wird unsere Öffentlichkeit, wenn es dann eben doch einmal Tote gibt – etwa bei den berüchtigten Berliner „S-Bahn-Schlägern.“ Oder eben bei den Amokläufen an den Schulen in Erfurt oder Winnenden. Eine Gesellschaft die mit dem Hass, der Brutalität und dem Willen zur Zerstörung junger, sich benachteiligt fühlender Männer nicht mehr vertraut ist, verlangt nach solchen Vorfällen nach Sinnstiftung.
Soziologen machen auf die Herkunft der Totschläger aufmerksam. Psychologen deuten die Bluttaten der Gymnasiasten als Resultat narzisstischer Kränkungen durch die unbarmherzige Hackordnung der jugendlichen peer-group. Die Polizei mahnt, dass die Täter allzu leichten Zugang zu Schusswaffen hatten. Solchen sachlichen Diskussionen zum Trotz, wendet sich die Debatte meist schnell einer anderen vermuteten Ursache zu, dem Medienkonsum der Täter: Spielten nicht beide Attentäter regelmäßig sogenannte „Killerspiele?“ Von Psychologen wird erwartet, Stellung zu beziehen: Können Medien mit gewalttätigem Inhalt zu realen Gewalttaten führen? So umstritten dieser Zusammenhang ist, so unverhältnismäßig präsent ist er in der öffentlichen Debatte. Dient die Fokussierung auf die Medien dazu, unangenehme Wahrheiten zu verdrängen? Wie war das alles eigentlich früher, bevor es „Killerspiele“ gab?
Ein Blick zurück in die Adenauerzeit lohnt sich, denn die Debatte um Gewalt in den Medien wurde schon damals geführt – mit erstaunlichen Parallelen. Freilich, unsere heutige Befremdung über die Gewaltexzesse junger Männer kannte die deutsche Nachkriegsgesellschaft nicht. Schließlich gab es ein ganz anderes Gewaltpotential als die Mitgliedschaft einiger labiler Jugendlicher in Sportschützenvereinen. Millionen junger Kriegsheimkehrer wussten immerhin genau, wie man eine Waffe bediente, etliche hatten jegliche Tötungshemmung verloren. Man sah vielen die Alpträume von weitem an, die sie seit den Fronterlebnissen quälten. Die Öffentlichkeit fürchtete sich jedoch nicht vor den jungen Landsern. Das eigentliche Schreckgespenst der Nachkriegsöffentlichkeit waren die heranwachsenden Kriegs- und Nachkriegskinder, insbesondere die Waisen. Tatsächlich stellten diese ein soziales Problem dar. Sie vagabundierten in den Trümmern der zerbombten Häuser umher, bildeten Banden und waren häufig nicht zimperlich im Umgang miteinander. Was für uns heute die Killerspiele sind, waren für den besorgten Nachkriegsdeutschen die neuen amerikanischen Westernfilme. Die Boulevardpresse berichtete reißerisch über die Delikte der „Indianerbanden“, wie sich manche der Jugendlichen bald selbst nannten. Kinderpsychologen ließen sich wiederum von der Regenbogenpresse inspirieren. Der Hamburger Professor Fritz Stückmann etwa warnte ernsthaft in einem Fachartikel namens „Der Überfall der Ogalalla auf die Jugend“, Wildwestfilme würden heranwachsende Jungen derart brutalisieren, dass sie zweifelsohne „den nächsten Weltkrieg“ verursachen würden. Auch für die Kinderpsychiatrische Praxis hatte die Westerntheorie Folgen. An der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg wurde so mancher Halbstarke auch aufgrund seiner Vorliebe für Cowboys und Indianer als „assozialer Psychopath“ diagnostiziert. Die Diskussion über den Medienkonsum der Trümmerjungen hatte im Nachkriegsdeutschland ganz offenkundig die Funktion andere schmerzhafte Angelegenheiten zu verdrängen. Sie wirkte bis in die Hörsäle und Behandlungszimmer hinein. Ob die Diskussion über die Killerspiele heute ebenfalls der Verdrängung unangenehmer Tatsachen dient das wird die Zukunft zeigen.
Es ist wohl so, dass oft Jungs mit einer Väterproblematik oder einem Gewalt- bzw. Vernachlässigungsthema Gewalt-Spiele spielen. Beunruhigender ist jedoch, dass sich niemand gegen die fast alltäglichen Gewalt-Darstellungen in TV und Kino stellt. Wir gründen gerade eine Initiative gegen Gewalt in den Medien – mehr auf: http://iggim.blogspot.com .
Julia
Sehr geehrte Frau Berger,
vielen Dank für Ihr Interesse an diesem Thema. Sie merken an, dass „oft Jungs mit einer Väterproblematik oder einem Gewalt- bzw. Vernachlässigungsthema Gewalt-Spiele spielen.“ In der Tat brauchen viele dieser Jungen Hilfe, aber glauben Sie, dass Sie deren Leid mindern, wenn Sie erreichen, dass Gewalt aus den Medien verschwindet? Ich glaube, Sie erreichen Ihr Ziel eher, wenn Sie sich für eines der Jungenprojekte engagieren, die zum Beispiel auf dieser Seite (oder auf vielen anderen) vorgestellt werden.
Mit besten Grüßen
Christoph Schwamm