Ein Mann ist ein soziales Konstrukt. Oder doch durch die Biologie auf ein bestimmtes Wesen festgelegt? Natürlich: Sein Fleisch und Blut wird kein Gender-Theoretiker einem Mann wegdisputieren können. Was konstruiert ist, sind nicht die Geschlechtsteile des Mannes oder die Auswirkungen der Endokrinologie auf sein Verhalten. Austauschbar ist die Bedeutung, die man diesem biologischen Unterschied zuschreibt, die Repräsentationen, die sich an ihm festmachen.
Das ist gemeint, wenn Kulturwissenschaftler (zu denen Historiker nolens volens immer mehr mutieren) davon sprechen, dass man sein Geschlecht „inszeniert“. Wer als Mann wahrgenommen werden will, muss sich um die Repräsentation, die „Inszenierung“ seiner Männlichkeit kümmern, auch wenn diese längst verinnerlicht und automatisiert, vor allem unbewusst abläuft. Kulturwissenschaftler nennen die verschiedenen Möglichkeiten, sich so zum Mann „zu machen“, „Praktiken der Männlichkeit.“ „Männlichkeit praktizieren“ oder sich selbst zum Mann machen kann man in zwei verschiedenen Bereichen des Zusammenlebens. Einmal im Umgang mit Frauen (heterosexuelle Praktiken): zum Beispiel auf einen Porsche sparen, um damit „Mädels aufzureißen“, um der Verständlichkeit halber nochmals ein altes Klischee zu bemühen. Zum anderen im Umgang mit anderen Männern (homosoziale Praktiken): etwa miteinander Fußball spielen, um danach ein Bier trinken zu gehen (noch mehr solcher Klischees).
Keinem Mann ist freilich bewusst, dass er gerade etwas „inszeniert“, bloß weil er etwa morgens vergessen hat, sich zu rasieren. Was zählt ist jedoch allein, dass er damit für seine Umwelt eine Repräsentation von Maskulinität erzeugt. Das Bewusstsein, dass es durchaus etwas von einer praktischen Tätigkeit hat, Mann zu sein, kommt ihm oft erst, wenn ihm das Handwerkszeug genommen wird, das er braucht, um sich zum Mann zu machen. Dann zeigen sich die erbarmungslosen Triebkräfte der kulturellen Erwartung. Da hilft dann auch die Biologie nicht weiter, weder V-Kreuz noch Stiernacken, weder hoher Androgenspiegel noch erhöhte Lateralisation der Hirnhälften.
Eine psychische Störung, die einen längeren stationären Aufenthalt erfordert, nimmt einem Mann zum Beispiel einiges an Möglichkeiten, sich zum Mann zu machen, wie zum Beispiel den Arbeitsplatz, den Sportverein oder die Eckkneipe. Wer heute stationär behandelt wird, bei dem wird man je nach Klinikphilosophie (und finanzieller Ausstattung) versuchen, das Leben „da draußen“ mehr oder weniger, zumindest jedoch in Ansätzen, zu simulieren. Dies war noch vor einigen Jahrzehnten anders. Um sich zum Mann zu machen, bedurfte es einiges an Erfindergeist. So waren Männer und Frauen beispielsweise in verschiedenen Trakten untergebracht. Um mit Mitpatientinnen anzubandeln, musste man einigen Aufwand betreiben, so wie ein Insasse einer hessischen Großanstalt, in dessen Krankenakte aus dem Jahre 1954 vermerkt ist: „Verließ gegen Mittag die Arbeitstherapie, kletterte über die Mauer, näherte sich der Patientin P. und führte mit ihr hinter dem Misthaufen den GV aus.“ (Viele Anstalten hatten damals noch eigene landwirtschaftliche Betriebe). Und was die homosozialen Praktiken anbelangt: Ärzte und Pflegepersonal waren in den Männertrakten lange nahezu ausschließlich männlichen Geschlechts. Geselligkeit auf Augenhöhe konnte mit denen angesichts der streng hierarchisch orientierten Anstalten nicht wirklich aufkommen. Was half da? Sich mit anderen Insassen verbünden und sich gemeinsam über die Psychiater lustig machen: „Randaliert mit einem anderen Maniacus die ganze Nacht lang. Spielen im Bett Karten und fertigen sich gegenseitig Atteste aus, in denen sie sich für verrückt erklären“, heißt es in der Krankenakte eines Odenwälder Viehhändlers aus dem Jahre 1953, der in die Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg eingewiesen worden war.
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