In der Schweiz sind gemäss aktueller Studienergebnisse viele Menschen sportlich aktiv (Lamprecht, Fischer & Stamm, 2014). Dabei scheinen sich Männer besonders in jungen Jahren sportlich zu betätigen und reduzieren dann mit zunehmendem Alter dementsprechende Aktivitäten. Erst mit ihrer Pensionierung steigen die sportlichen Aktivitäten wieder an.
In unserem Forschungsprojekt an der Universität Basel zum Umgang von Männern mit Gesundheit im mittleren Lebensalter (30 bis 60 Jahren), zeigt sich eine enorme Bedeutung von Sport für die interviewten Männer. Sport wird nicht nur ein Stellenwert als mögliches Freizeitinteresse oder Hobby eingeräumt, sondern er hat vielmehr noch eine darüber hinaus gehende Bedeutung. So geht es ihnen um den Kontakt und den Zugang zum eigenen Körper bzw. darum, den Körper überhaupt wahrnehmen und spüren zu können.
In der gesundheitsbiografischen Erzählung der einzelnen Männer zeigt sich, dass viele Teilnehmer schon seit frühester Kindheit Sport praktiziert haben. Sport als Bewegung hat für sie auch etwas Selbstverständliches gehabt, gerade im Rahmen des obligatorischen Schulsportes. Von Anfang bzw. Mitte 20 bis Anfang 30 hat das Praktizieren von Sport abgenommen. Ab 30 nehmen sich einzelne Teilnehmer als weniger leistungsfähig wahr und merken, dass sie früher doch mehr haben leisten mögen, gerade weil sie mehr Sport gemacht haben. In den Erzählungen scheinen Leistung und Sport zusammenzugehören. Sport ist hier ‚Mittel zum Zweck‘, um gesund zu sein. Vor allem aber geht es darum, leistungsfähig zu sein oder zu bleiben. Dabei sind Fitness und Sport nicht identisch. Einige Teilnehmer verbinden mit dem ‚fit sein‘ und Fitness vor allem das Fitnesstraining und positionieren sich positiv dazu. Andere lehnen dies ab, weil sie damit nichts anfangen können und die Sportausübung in der ‚Natur‘ bevorzugen. Auffällig ist, dass Teilnehmer, die aktiv Sport betreiben, nicht nur eine Sportart, sondern teilweise über ihre Lebensgeschichte und in Abhängigkeit vom Alter, immer wieder unterschiedliche Sportarten ausgeübt haben: Mannschafts- und Einzelsportarten, vor allem Ausdauer- und Kraftsportarten. Die Teilnehmer berichten von Wettkampfsituationen mit Leistungsvergleichen an denen sie seit frühster Kindheit aktiv teilgenommen haben, weil sie Leistungssport praktizierten. Mit zunehmendem Alter verändert sich das Verhältnis zu sich als ‚Sportsperson‘. So betont ein Interviewpartner, dass er früher wettkampfmässig unterwegs war. Seit er gemerkt hat, dass ein Gewinnen nicht mehr möglich ist, beschreibt er sich der „Touristenklasse“ zugehörig. Insgesamt verbinden die Interviewpartner Sport vor allem mit einem Messen und mit der Vorstellung eines Wettkampfes mit sich selber. Sie sind in einem Wettkampf mit sich selber, um sich zu bewegen, um sportlich aktiv zu sein, um einen Zugang zum Körper zu finden, um leistungsfähig zu sein. Das heisst aber auch, dass Sport immer verbunden ist mit Zielen: sich selber Ziele zu setzen, und dies mit der Erwartung, diese zu erreichen.
Einzelne Teilnehmer, in der Mehrheit jene über 40 Jahre, beschreiben Sport als Moment des Ausgleichs, gerade zur beruflichen Arbeit. Diese Beschreibungen lassen Hinweise erkennen, dass sie es mit Freude und Spass tun.
Des Weiteren ist in den Beschreibungen erkennbar, dass bei Personen das Unfallrisiko steigen kann, die sehr viel Sport unternehmen, d.h. mehrmals die Woche und gerade im Zusammenhang mit Leistungssport. Es geht beim Sport also nicht per se nur um die Gesundheit. Auffällig ist, dass es nur wenige Interviewpartner gibt, die mit Sport nichts anfangen können. Für diese Männer stellt Sport kein Referenzrahmen dar, zu dem sie sich positionieren müssen.
Sport, so zeigen die Interviewpassagen, ist etwas, das regelmässig zu erfolgen hat, um eine Wirkung zu entfalten. Die Teilnehmer merken aber, dass sie mit zunehmendem Alter, teilweise auf Grund von familiären oder beruflichen Verpflichtungen dem selber gesteckten Ziel nur zum Teil nachkommen können und dann nur ein- bis zweimal in der Woche Sport treiben können. Sport scheint etwas zu sein, das zusätzlich zu jedem Hobby und Freizeitinteresse wie selbstverständlich zu einer Vita ‚männlichen‘ Lebens gehört. Wie ein Interviewpartner es beschrieben hat: „Ich bin ein Mann, ich muss Sport treiben“. So geht es beim Sport auch um die Herstellung und um die (Selbst-)Vergewisserung von Männlichkeit.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Interviewpartner zu dem Körper oder über den Körper sprechen, als wäre er ein ihnen ‚fremd‘ und ‚bekannt‘ zugleich. Sie versuchen, den Körper unter Kontrolle zu bekommen oder erzählen, dass der Körper reagiert hat. Sie beschreiben den Körper und ihr Körpergefühl, als würde es zwischen ihrer Persönlichkeit und dem Körper eine Grenze geben. In diesem Sinn findet über den Sport eine Aneignung des Körpers statt, obwohl ja der Körper dem Manne innewohnt oder der Mann dem Körper innewohnt. Gemäss der australischen Forscher_in Raewyn Connell scheint sich „[w]ahre Männlichkeit […] fast immer vom männlichen Körper abzuleiten – einem männlichen Körper innewohnend oder etwas über einen männlichen Körper ausdrückend“ (Connell, 2015, S. 95). Haben nun Männer – wie immer wieder zu lesen ist – ein vor allem funktionalistisches Verhältnis zum ihrem Körper?
Das Thema Körper kann nicht losgelöst gesehen werden von gesellschaftlichen Entwicklungen (vgl. auch „Von Bizeps bis Sixpack – Der gesunde und schöne Männerkörper“).
So gibt es derzeit einen fundamentalen Umbruch, gerade in den Arbeitsverhältnissen. Festzustellen ist eine Zunahme von prekären Arbeitsverhältnissen, die dazu führen, dass kontinuierliche Erwerbsbiografien über mehrere Jahrzehnte für immer mehr Menschen nicht mehr möglich sind. In diesem Zusammenhang ist eine interessante Frage, warum der Körper gerade dann eine so grosse Bedeutung erhält, wenn die gesellschaftlichen Unsicherheiten sich verschärfen. Warum nimmt das Kontrollbedürfnis über den Körper zu? Dass er einen gesellschaftlichen Marktwert hat, genügt nicht als Erklärung. Vielmehr wird der Körper zum Zeichen der Fähigkeit, etwas bewirken zu können und Einfluss zu haben (vgl. Maihofer, 2010). „Herr seiner selbst zu sein“ ist nun auch „das Sorge tragen“ für die Formung und Gestaltung des eigenen Körpers. Der Körper im Rahmen von Sport wird dann als möglicherweise einziger Ort wahrgenommen, an dem das eigene Handeln Konsequenzen hat – gegenüber einer gefühlten Wirkungslosigkeit im gesellschaftlichen Raum.
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