Männer, Gesundheit und Forschung: Was passiert in der Schweiz?
In den Jahren 2012 bis 2014 hat unsere Forschungsgruppe an der Universität Basel, Andrea Maihofer, Elisabeth Zemp Stutz, Nina Wehner, Diana Baumgarten und ich, ein Forschungsprojekt zur Männergesundheit durchgeführt, welches vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanziert wurde.
Dabei sind wird der Frage nachgegangen: „Wie gehen Männer im Alltag mit Gesundheit um?“ In unserer qualitativen Studie haben wir geschaut, inwiefern sich bei Männern im mittleren Lebensalter Zusammenhänge zwischen dem Umgang mit Gesundheit und Konstruktionen von Männlichkeit zeigen. Die Grundlage der Studie sind ausführliche Interviews mit 40 Männern aus der Region Basel in der Altersgruppe von 30 bis 60 Jahren, die sich in unterschiedlichen Beziehungsformen befinden (Singles, Männer in Beziehung, mit und ohne Kinder).
Hintergrund – Männer und Gesundheit
Weltweit besteht ein so genannter „gender gap“ in der Lebenserwartung und Sterblichkeitsrate zwischen Männern und Frauen – zu Ungunsten der Männer (WHO, 2008; Faltermaier, 2007). Auch in der Schweiz leben Männer durchschnittlich etwa fünf Jahre kürzer als Frauen und sie sterben in allen Lebensphasen deutlich öfter (Bundesamt für Statistik, 2015). Diese höhere Sterblichkeit kommt überwiegend durch verhaltensbedingte Ursachen zustande: Männer weisen ein stärkeres gesundheitliches Risikoverhalten auf (Alkohol-, Tabak-, Drogenkonsum, Verhalten im Strassenverkehr und Sexualleben), nehmen weniger Vorsorgeuntersuchungen wahr, setzen sich grösseren körperlichen Belastungen aus (Beruf, Sport) und suchen weniger oder erst spät ärztliche Hilfe (vgl. European Commission, 2011; BAG, 2008; Mahalik et al., 2007; Mokdad et al., 2004).
Um zu verstehen, wie es zu dieser ungesünderen Lebensweise kommt, ist es notwendig, die gesundheitsrelevanten Handlungsweisen von Männern genauer zu untersuchen. In unserem Forschungsprojekt haben wir uns vor allem auf das Gesundheitshandeln (Faltermaier, 2011, 2007) von Männern konzentriert. Zur Erklärung des Gesundheitshandelns bei Männern kommen in jüngerer Zeit zunehmend Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Männlichkeit in den Blick. Dabei wird in der Forschung vermehrt auf Konzepte von Geschlecht („gender“) und Männlichkeiten („masculinities“) aus der Geschlechter- bzw. Männerforschung zurückgegriffen (Connell, 2011; Broom & Tovey, 2009; Lohan, 2007; Rieker & Bird, 2005; Courtenay, 2000; Schofield et al., 2000; Sabo & Gordon, 1995). Geschlecht wird darin als eine soziale Praxis verstanden, die innerhalb einer historisch spezifischen Geschlechterordnung stetig reproduziert wird. Die Ausgangshypothese in unserem Forschungsprojekt war, dass Gesundheitshandeln als Resultat und Ausgestaltung von Männlichkeitskonzepten verstanden werden kann. Männer handeln demnach nicht so, wie sie handeln, weil sie Männer sind, sondern weil sie Männlichkeit herstellen und immer wieder neu beweisen müssen.
Aus dem Forschungsstand zur Männergesundheit haben wir für unser Projekt folgende zentrale Forschungsfragen entwickelt: Wie sieht das Alltagshandeln von Männern in der Schweiz bezogen auf Gesundheit aus? Welche Formen des Gesundheitshandelns beschreiben sie? Welche Konzepte von Männlichkeit konstruieren sie dabei?
Hier gerne eine Auswahl von Ergebnissen:
Ein Mann muss gesund sein
Als übergeordnetes Ergebnis der Auswertung zeigte sich, dass Gesundheit und Gesundsein an sich eine Norm darstellt, auf die sich alle befragten Männer beziehen. Gesundsein stellt ein gesellschaftliches Erfordernis dar – eine Bedingung, ohne die nichts geht. Gesundheit als ‚Normalität‘ und zugleich als ‚Notwendigkeit‘ als einen Orientierungsrahmen, den alle Befragten teilen, auch wenn sie daraus unterschiedliche Konsequenzen ableiten oder sich unterschiedlich dafür zuständig sehen. Es findet sich in den Interviewdaten keine Darstellung von Gesundheit, die Krankheit selbstverständlich integriert (im Sinne von: „Krankheit gehört zum Leben“). Gesundheit ist damit das vorherrschende, normative Ideal, das zwar die wenigstens verkörpern (können), an dem sich aber alle orientieren.
Gesundheit und Leistungsfähigkeit
Gesundheitshandeln passiert nicht um seiner selbst willen, sondern vielmehr mit der Absicht, die eigene Funktionstüchtigkeit für den Beruf zu erhalten. Gesundsein und -Gesundheitserhaltung erscheinen vor allem als Ressourcen für die eigene (berufliche) Leistungsfähigkeit von Männern zwischen 30 und 50 Jahren. Es sind eher ältere Männer (50 bis 60 Jahre), die sich mehr Sorge für sich selbst zugestehen und davon selbstverständlicher erzählen (können).
Gesundheit ist für Männer: Ein aktuelles und wichtiges Thema
Viele Informationen für einen bewussten Umgang mit Gesundheit sind bei Männern vorhanden, doch in der Umsetzung zeigen sich Stolpersteine, weil bestimmte Vorstellungen von Männlichkeit(en) einer aktiven Sorge um sich selber gegenüberstehen.
Krise als Denkanstoss
Es braucht erst Krisen, um Männlichkeitsanforderungen kritisch zu reflektieren und sich bewusst um sich kümmern zu können. Gesundheitlich für sich selbst zu sorgen ist für viele Männer nicht einfach selbstverständlich. Bestimmte Männlichkeitsanforderungen stehen dem entgegen. Besonders deutlich zeigt sich das an denjenigen Männern, die eine solche Sorge für sich selbst anstreben und als eigenes Bedürfnis darstellen. Auffallend sind hier die Berichte über krisenhafte Erfahrungen, die diese Männer in ihrem Leben gemacht haben (psychische Krisen, Trennungen, schwere Erkrankung eines Kindes o.ä.). In der Folge solcher Erlebnisse entwickelten sie ein kritisches Bewusstsein für Männlichkeitsanforderungen wie Erfolgsdruck im Beruf oder die Erwartung Stärke zeigen zu müssen.
Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen in Bezug auf das Verhältnis von Männlichkeit und den Umgang mit Schmerzen.
Einerseits wird das Negieren von körperlichen Symptomen sowie Schmerzen abgelehnt, auch Männer sollen ihre körperlichen Signale wahrnehmen und artikulieren. Anderseits wird an Verhaltensweisen festgehalten, wie „Schmerz aushalten können“, „Zähigkeit zeigen“, „hart im Nehmen sein“ und „anderen nicht zur Last fallen“. Ein Ringen um ein neues Schmerzmanagement und mit der eigenen Widersprüchlichkeit wird besonders sichtbar, wenn es um die Söhne geht. Die Söhne sollen sich nicht mehr nach der alten Norm richten, aber Wehleidigkeit geht auch nicht. Die Söhne sollen es anders machen. Doch die Väter leben die bisherige Form und reagieren gegenüber den Söhnen ambivalent. (vgl. Maihofer, 2014)
Wie weiter? Zeit für neue Ziele: Wohlbefinden statt Leistung?
Massnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung sollten darauf hinwirken, dass Männer sich bewusst Zeit nehmen, etwas für sich, für ihre Gesundheit zu tun – nicht nur um leistungsfähig zu bleiben, sondern weil es ihnen gut tut. Wichtig ist ausserdem, das Thema Männergesundheit immer mit Blick auf die Wechselwirkung von individuellen Lebenssituationen und gesellschaftlichen (Männlichkeits-)Anforderungen zu thematisieren.
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