Zu diesem Werbeplakat brauche ich eigentlich nicht mehr viel zu sagen. Das wäre somit heute ein sehr kurzer Blogbeitrag. Aber dann wären sicherlich einige ob der Kürze enttäuscht und kämen nicht mehr wieder zum Lesen. So schreibe ich doch noch einmal meine Gedanken etwas detaillierter dazu auf, heute auch etwas länger. Wie immer gestückt mit Beispielen aus der Praxis. Das „flüssige Emotionsrunterspülen“ ist wohl jedem bewusst männerspezifisch und schon zu hauf beschrieben. Ich möchte deswegen den Focus auf das „feste Emotionsrunterschlucken“ legen. Leider habe ich dazu kein passendes „Ess-Werbe-Plakat“ gefunden, deswegen dieses „Flüssige“ aus der Schweiz.
Essstörungen bei Männern sind meiner Meinung nach unterdiagnostiziert. Das heißt, es gibt eine gewisse unbekannte Dunkelziffer von Fällen. Es passt nicht in unser Bild, dass Männer in diesem genussvollen Themenbereich gestört sein sollten. Männer sind nachweislich fettleibiger als Frauen. Sie benötigen zwar konstitutionsbedingt mehr Kalorien für ihren Organismus, aber dann doch nicht mehr so viel, wie zu „früheren körperlicheren Malocherzeiten“. Im Rahmen meiner betrieblichen Gesundheitsförderarbeit habe ich in den letzten Jahren Männern beim Prozess des Abnehmens begleitet und konnte dabei einiges beobachten und lernen.
Emotionsbedingtes Essverhalten in Form von Fressattacken (Binge-Eating-Disorder), nächtlichem Essen (Nightly-Eating) oder vereinzelt bulämischen Verhaltensweisen (Bulimia nervosa) kommt auch bei Männern vor und ist meiner Meinung nach kein Einzelfall. Wir können uns das meist nicht bei gestandenen, kräftigen Männern vorstellen. „Wir“ erwarten und fragen das nicht und „die“ trauen und erzählen es nicht. So kommen wir selten zusammen. Ich erlebe immer wieder Männer, die erst beim vierten oder fünften langen Gespräch in der Sprechstunde von ihrem wahren Essverhalten berichten können. Das Ganze ist so schambesetzt und passt nicht in das Selbstbild und die eigene Rollenerwartung, das man es einfach nicht über die Lippen bringt. Ein Mann äußerte da einmal so einen bezeichneten Satz, der mich wirklich umhaute. „Herr Doktor, ich esse häufig so viel, dass meine Frau (bildlich) das kotzen kriegt! Das sind richtige Fressattacken!“
Was man dazu wissen muss, der kommerzielle Diätmarkt distanziert sich ganz stark von diesen Essstörungen, um sich keine Probleme einzufangen. Dies geschieht aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Wer nämlich eine Essstörung hat, sollte auf keinen Fall eine Diät zur Lösung seiner Probleme durchführen. Also fragt man lieber nicht allzu tief in der Vorgeschichte der Mitmachenden und weiß besser von nichts.
Doch wovon möchte ich heute eigentlich erzählen. Wie es in der Medizin so häufig vorkommt, hatte ich vor einigen Monaten zwei ähnliche Fälle von Männern in der Sprechstunde. Man nennt das die Duplizität der Fälle. Zwei Männer, zwei unterschiedliche Geschichten, aber ein gemeinsames Problem. Beide Männer haben vor Jahren verlernt, ihre Emotionen adäquat auszuleben und zu artikulieren. In Bezug auf das Kompensationsfressen oder „feste Emotionsrunterschlucken“ ist entscheidend zu fragen: „Warum und seit wann isst Du so?“ anstatt „Was und wieviel isst Du?“
Der erste Mann war ca. bis zum seinem 25. Lebensjahr völlig normalgewichtig gewesen. Jetzt mit Anfang vierzig hatte er glatte 60kg zugelegt und war mittlerweile stark adipös. Privat hatte sich nichts verändert. Beruflich war er früher für unterschiedliche Arbeitgeber tätig gewesen und nun seit 15 Jahren bei ein und dem selben Großunternehmen. Nach eigenen Aussagen regte er sich früher gerne mal auf, war ein wenig wie ein „HB-Männchen“ und sagte seine Meinung auch gegen massive Widerstände der Anderen und Oberen. Doch dies hatte er sich nun in den letzten Jahre stark abgewöhnt. Zu häufig wurde er zum Chef zitiert und musste seine Äußerungen dort erklären. Er hörte dann: „Finde Dich hier ein und halte Deine Klappe!“ In einem unser Gespräche beschrieb er es so: „Hier findet doch bei den meisten mittlerweile eine Zahnbehandlung durchs Rektum statt. Da macht doch keiner mehr das Maul auf!“
Was hat das nun mit seinem Gewichtssprung zu tun und warum sehe ich dabei einen Zusammenhang. Er griff weniger zum häufig männerspezifischen flüssigen „alten“ Alkohol, sondern schluckte eher seine Emotionen mit dem „neuen“ festen Essen sozial akzeptierter runter. Ich sage dazu machmal: „Das Fressen ist das neue Saufen und keiner merkt´s!“ Der Alkoholkonsum sinkt und das Übergewicht und die Fettleibigkeit steigen in den Statistiken. Ist das zufällig? So hat sich das Verhalten des Mannes in den letzten Jahren zunehmend als Kompensation eingeschlichen. Sein „Ich reg´mich hier in diesem Absurdistan nicht mehr auf!“ ging doch nicht so spurlos wie gedacht an ihm vorbei. Das konnte er auch in unserem Gespräch an sich und seinem sich fragenden Gesichtsausdruck bemerken, als ich doch zunehmend mehr den Finger in diese Wunde legte. Ich denke, dass Männer eher zu dieser Verhaltensweise neigen und gefährdet sind, ihre Emotionen so verschlucken, auch wenn sie es schon vorher eigentlich anders konnten und redeten. Sonst hätte dieser Mann es nicht bis Mitte 20 geschafft, normalgewichtig zu sein und ohne Alkoholabhängigkeit auszukommen. Anders gesagt, solche Männer, die den Mund aufmachen und ihre Meinung sagen, sind auch nicht immer willkommen und man bringt es ihnen bald bei, „das Maul“ zu halten und „es“ runterzuschlucken!
Mehr zu diesem Thema folgt mit der Geschichte des zweiten Mannes in einigen Wochen. Wie immer wünsche ich Ihnen eine gesundheitliche Woche!
Kommentar verfassen