Männer und ihre Väter haben schon eine besondere und wichtige Beziehung. In der Beratung erlebe ich es immer wieder, welche wesentliche Rolle die Vater-Sohn-Beziehung im Leben eines Mannes spielt. Konflikte aus der Kindheit und Jugend werden teils Jahrzehnte mitgeschleppt, weil zwei Männer es nicht schaffen, „es“ auszusprechen bzw. zu besprechen. Da der Vater eine so wichtige Rolle in der Sozialsiation eines Mannes spielt, Vorbild für viele Verhaltensweisen ist, sind diese Altkonflikte fatal und „poppen“ dann Jahre später in Form eines kompensatorischen, risikoreichen Gesundheitsverhaltens oder einer Krankheit auf.
Da ist man als Arzt ohne psychoanalytische Fertigkeiten häufig schnell am Rande seiner Möglichkeiten. Trotzdem finde ich es so wichtig über den Tellerrand zu schauen, sowohl als Arzt aber auch als Therapeut. Nur mit Verständnis für beiden Ebenen: 1.Ebene – Der Körper, 2.Ebene – Die Seele, kann der Mann ganzheitlich betrachtet und begleitet werden. Deswegen stelle ich auch immer meine Anfangsfrage „Welche Sorgen und Beschwerden haben Sie?“. Damit versuche ich beide Ebenen verbal zu erwischen. Der Mann soll wissen, dass mich auch seine Sorgen interessieren.
Ich erlebe Männer, die als Mitte 50jährige noch immer zutiefst von nur einem verletzenden Satz gekränkt sind, den sie als pubertärer Junge von ihrem Vater gehört haben. Dieser eine Satz bleibt im Kopf, weil er stellvertretend so stark eine nicht wertschätzende väterliche Erziehung symbolisiert und für immer tief auf der „MännerFestplatte“ eingebrannt ist. Durch den nicht selten vorhandenen Rollenkäfig des Mannes und die verloren gegangene Fähigkeit zu sprechen, kommt es dann leider nie zur Klärung und lässt alles über die vielen Jahre verkrusten. Durch die fehlende Wertschätzung des so wichtigen zu prägenden Vaters kann es dann auch nicht zur „gesunden“ Selbstwertschätzung bei dem Mann kommen. Natürlich sind diese besagten Männer arbeitsfähig und nicht per se unglücklich. Tief drinnen aber fehlt, bedingt durch den alten Vaterkonflikt diese Selbstwertschätzung der eigenen Person gegenüber. Das kann man meiner Meinung auch fast nie wieder aufholen.
Ich möchte dazu heute kurz von einer Begebenheit berichten. Ein Mann, den ich seit längerem kenne und vor kurzem mal wieder sprach, berichtete mir fast voller Stolz, seinem Vater nach über 59 Jahren das erste Mal Paroli geboten zu haben. Der Vater hätte nach dem, was der Sohn schon immer einmal sagen wollte, sogar angefangen zu weinen und wäre wirklich emotional angeschlagen gewesen. Vielleicht etwas spät, wenn ein 59 jähriger Mann und ein Mann in den „End-70ern“ erstmals offen mit einander sprechen, ich finde es aber trotzdem gut. Besser spät als nie!
Aufgrund des langen Aufstauen wird wahrscheinlich auch nicht alles ganz förmlich von dem Mann übermittelt worden sein. Trotzdem konnte ich dem Mann ansehen, wie stolz er war, „es“ endlich einmal ausgesprochen zu haben. Ob sich hierdurch die Vater-Sohn-Beziehung wieder kittet, nehme ich nicht an. Trotzdem tat es dem Mann sichtlich gut. Er hat es geschafft auszubrechen und sich zu eman“n“zipieren. Trefflich dazu leitet sich auch der Begriff Emanzipation von dem lateinischen emancipatio ab, was „Entlassung des Sohns aus der väterlichen Gewalt“ bedeutet. Wir assoziieren diesen Begriff meist mit der weiblichen Emanzipation. Männer brauchen das in gewissen Lebenslagen auch!
Wenn es um risikoreiches Gesundheitsverhalten und Krankheit geht, können wir häufig nur die Symptome lindern. Der eigentliche unterhaltende Konflikt bleibt nicht selten im Verborgenen oder muss vom Betroffenen aus Selbstzweck weiter unterhalten werden. Bei dem besagten Mann aus dem Gespräch hat es über ein Jahr gebraucht, sich öffnen zu können und aktiv mit dem Problem umzugehen, und das (kann ich berichten) nach vielen verbalen „MännerAbwehr-Aktionen“. Hier gilt es also Ausdauer zu zeigen. Werden Sie nicht müde, fragen Sie nach und denken Sie bitte an den so wichtigen Vater, der sich häufig nicht nur positiv auf der „MännerFestplatte“ eingebrannt hat. Wie immer wünsche ich Ihnen eine gesundheitliche Woche.
Sie greifen hier ein existenziell wichtiges Thema für uns Männer auf, welches den Weg in die Öffentlichkeit selten findet. Daher danke für diese Gelegenheit etwas dazu zu sagen.
Besonders beim Gewaltthema, aber nicht nur, spielt die Sicht auf uns selbst eine große Rolle. Ein Teufelskreis tut sich hier auf, wenn die Beziehung zwischen Vater und Sohn getrübt ist. Der Vater ist ein Mann, dazu noch der erste in unserem Leben, und ich selbst bin ein Mann, als Kind zumindest ein zukünftiger. Aus den Erfahrungen mit und um den Vater setzt sich mein Bild von mir selbst und den Männern im Allgemeinen zusammen. Ein weiteres Puzzelteil zum gängigen Männerbild ist das Umfeld und die Gesellschaft, in der wir aufwachsen. Sie haben dies ihrem Blogeintrag ebenfalls erwähnt.
Gewalttäter_innen haben ein geringes Selbstwertgefühl, sprechen anderen Menschen deren Selbstwertgefühl ab und können weder sich selbst noch andere lieben. Sie werden deshalb erst fähig Gewalt auszuüben.
Ein weiterer Punkt, der zu diesem Thema dazugehört, ist der, der fehlenden Väter. Also Väter, die ihre Rolle als Elternteil, als Mann vernachlässigen oder gänzlich abwesend sind. Diese Kinder wachsen orientierungslos und mit einem Gespensterwesen als Vater auf.
Ein fehlender Vater, also ein Mann, der sein Kind zurücklässt, tut sein übriges dazu den Selbstwert seines Sohnes zu beeinträchtigen.