Ich traf Mehmet Altun, einen Arbeitskollegen von mir zum Interview. Er ist arbeitsmedizinischer Assistent im betriebsärztlichen Dienst des Bremer Stahlwerkes und erster Vorsitzender eines Migrationsvereins hier in Bremen. So wie er selber sagt: „Ich verdiene mein Geld auf der Hütte und arbeite im Lagerhaus (dem Migrationsverein).“ Wir kennen uns nun seit 3 Jahren und sind immer wieder im Dialog über deutschtürkische Kollegen mit Migrationshintergrund. Mehmet ist seit 34 Jahren aktiv in der Migrationsarbeit. Zusammen mit anderen haben wir ein kleines Netzwerk Integration im Stahlwerk begonnen. Er kam selber 1979 als Anfang Zwanziger nach Deutschland. Der Vater arbeitete und „lebte“ bereits seit 1967 bei Klöckner in Bremen. Mehmet ist kein Kofferkind. Über diesen Zustand ist er auch sehr glücklich. Andere der 2. Generation von Türken hier in Deutschland, haben leider dieses Schicksal erlitten. Ihre Eltern waren zerrissen zwischen der Heimat und dem Gastarbeiterland. Mal wurden die Kinder hier mal in der Heimat aufgezogen. So entstand eine auch noch heute nicht zu unterschätzende Zerrissenheit. Vor allem bei den Jungs und heutigen Männern, die nun Mitte Ende vierzig sind. Mehmet und ich kennen einige, denen dieses widerfahren ist. Im Interview ging es mir um Mehmet´s Lebensgeschichte als Deutschtürke. Wie war das? Wie war es als Türke mit Anfang zwanzig nach Deutschland zu kommen, ohne jegliche Sprachkenntnisse aber bereits der Pubertät entwachsen und den Vater erstmals länger als die standardmässigen 6 Wochen Heimaturlaub in der Türkei zu erleben? Selbst bei diesen jährlichen 6 Wochen war der Vater eher noch unterwegs, weil die gesamte Familie besucht und beschenkt werden wollte, von dem Mann aus dem reichen Land. So kamen die Kinder wieder nicht „in den Genuss“ ihres Vaters. Der Vater erlebte das Großwerden seiner Kinder nur durch eine regelmäßig aufgemalte Hand jedes einzelnen. Ohne Internet, Telefon oder Fotoapparat war es damals (auch noch in den 70igern) nur über Briefe schreiben möglich, in Kontakt mit den Lieben zu bleiben. Da seine Mutter Analphabetin war, wurde den Kindern Briefe diktiert. Auf den Rückseiten durfte jedes Kind seine Hand aufmalen. Ich finde dieser Akt verdeutlicht die große Vater-Kind-Distanz. Die Prägung des Vaters ist so wichtig! Als ich ihn fragte: „Wann hast Du Deinen Vater kennengelernt?“ entgegnete er nur: „Ich habe ihn nie kennengelernt! Wir waren zwei Männer, Vater und Sohn, das war´s.“ Mehmet hatte aber auch Glück mit ihm. Sein Vater war sehr liberal. Anders als andere Väter versuchte er nicht, die Familie dominant zu führen. Dazu war er wahrscheinlich auch zu müde und niedergeschlagen vom Arbeiten und dem Ernähren von 6 Kindern. Mehmet berichtete mir, wie sehr seinem Vater die Arbeit hier verhasst war. Es gab damals eine klare Hackordnung unter den Männern. Männer aus der Türkei standen da einfach auf der untersten Stufe. Nach der Berentung seines Vaters mit 55 Lebensjahren, hielt es dieser noch ganze 2 Monate hier aus. Danach lebte er 17 Jahre in der Türkei. So gingen die beiden Männer auch später, wo es die Zeit eigentlich hergegeben hätte wieder auseinander. Aufgrund der Vaterlosigkeit von Mehmet und seinen Geschwistern suchten sich die Kinder einfach einen neuen Vater, in diesem Falle Mehmet. Als ältester Sohn fiel ihm wohl automatisch diese Position zu. Auch später und noch heute ist er der Ansprechpartner für die Familie. Durch dieses Amt wurde er schon früh unabhängig und ging seine eigenen Wege. Was soll diese Geschichte hier? In der betrieblichen Arbeit mit Männern trifft man häufig auch auf türkisch stämmigen Kollegen. Mir ist es häufig im Betrieb aber auch früher in der Krankenhausarbeit so ergangen, dass ich nicht verstanden habe, wo eigentlich „das“ Problem gesundheitlich bei diesen Männern liegt. Durch Nachfragen und in den Dialog kommend, habe ich mehr und mehr erfahren und besser verstanden. Fragen sie doch auch mal nach. Und wenn Zeit ist, hören sie sich die Geschichten dieser Männer an. Nicht wenige haben viel erlebt und durchgemacht. Sie werden staunen. Ich wünsche Ihnen wie immer eine gesundheitliche Woche.
Kein Kofferjunge. Trotzdem vaterlos.

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